Abstract
Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert erlebte die christliche Kirchenmusik im mitteleuropäischen Raum eine ihrer kritischsten Phasen. Auf den Höhenflug reichster Entfaltung folgte der Sturz in beschränkte Verhältnisse, aus denen sie nur allmählich im Rahmen gewandelter Gesellschaftsverhältnisse wieder aufstreben konnte.
In dem umrissenen Zeitraum - von der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 bis zum Wiener Kongress 1815 - vollzog sich ein tiefgreifender Säkularisierungsprozess, äußerlich begründet im politischen und wirtschaftlichen Machtstreben der großen Staaten, innerlich in der geistigen Wende vom transzendenten zum immanenten Denken, welche auch vor den Kirchen nicht haltmachte und sich auf die kirchliche Kunst- und Musikpflege auswirkte. Am Ende kam es zu einer Neuorientierung unter veränderten politischen Grenzen und gesellschaftlichen Verhältnissen, mit neu erwachtem geschichtlichen und religiösen Bewusstsein.
In diesem historischen Kontext der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches und der Neuordnung Europas wird in den Beiträgen des vorliegenden Bandes die Entwicklung der katholischen und evangelischen Kirchenmusik im mitteleuropäischen Raum (Deutschland und die Länder der ehemaligen Donaumonarchie mit England als Vorspann) untersucht, und zwar im interdisziplinären Vergleich durch Spezialisten der Fächer Allgemeine Geschichte, Kirchengeschichte, Liturgiewissenschaft, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft aus mehreren europäischen Ländern.